Ob Urlaub aus dem vergangenen Jahr noch im Folgejahr genommen werden kann, ist ein häufiger Streitpunkt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Vielfach herrscht der Irrglaube, dass Urlaub aus dem Vorjahr immer bis zum 31. März des nächsten Jahres genommen werden kann und erst dann verfällt. Im Arbeitsvertrag lässt sich zwar eine solche Vereinbarung treffen. Das Bundesurlaubsgesetz ist jedoch wesentlich strenger. Die Übertragung von Urlaub in das Folgejahr soll nach dem Gesetz die Ausnahme und nicht die Regel darstellen.
So lief es bisher:
Urlaub kann im Wesentlichen nur dann bis zum 31.03. des Folgejahres genommen werden, wenn er aus betrieblichen Gründen oder aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers – beispielsweise wegen Krankheit – im abgelaufenen Kalenderjahr nicht vollständig verbraucht worden ist. Liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor, herrschte in der Praxis bislang die Auffassung, dass Resturlaub ersatzlos am 31. Dezember des Jahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht in Anspruch genommen hat.
Das sagt der EuGH dazu:
Der Europäische Gerichtshof hat dieses System jedoch in zwei Entscheidungen vom 06.11.2018 (Az.: C-619/16 und C-684/16) auf den Kopf gestellt. Arbeitgeber sollten diese Entscheidungen kennen, weil sie Auswirkungen auf die betriebliche Praxis haben.
Im Grundsatz hat der EuGH entschieden, dass Urlaub nicht vom Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden muss. Vielmehr sei Urlaub von Seiten des Arbeitgebers aktiv zu gewähren. Das Gericht hat insbesondere festgestellt, dass nicht genommener Urlaub nicht automatisch mit Ablauf des Kalenderjahres ersatzlos verfallen darf.
Nach Auffassung des EuGH verfällt Urlaub nur dann am Jahresende, wenn der Arbeitnehmer freiwillig und in Kenntnis des drohenden Anspruchsverlusts auf seinen Urlaub verzichtet hat, nachdem er von Seiten seines Arbeitgebers tatsächlich in die Lage versetzt worden ist, rechtzeitig Urlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber habe zu beweisen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Vorsicht: Hier gilt die neue Regelung nicht
Die Rechtsprechung des EuGH gilt allerdings ausschließlich für den gesetzlichen Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen. Für darüber hinausgehende Urlaubsansprüche besteht Vertragsfreiheit. Die Parteien können daher abweichende Regelungen treffen und beispielsweise festlegen, dass der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende Urlaub in jedem Fall am 31. Dezember des Jahres ersatzlos verfällt.
Was bedeutet das für die Praxis?
Grundsätzlich sollte es ohnehin sowohl im Interesse des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers sein, dass der Urlaub im laufenden Jahr genommen wird.
Um eine unerwünschte Übertragung von Urlaub auf das Folgejahr zu vermeiden, müssen Arbeitgeber angesichts der Entscheidung des EuGH künftig aktiv darauf hinwirken, dass die Arbeitnehmer ihren Urlaub vollständig im laufenden Jahr nehmen. Laut EuGH ist der Arbeitgeber verpflichtet, seine Arbeitnehmer konkret und erforderlichenfalls förmlich dazu auffordern, Urlaub zu nehmen. Weiterhin wird von Arbeitgebern gefordert, dass sie rechtzeitig und eindeutig darauf hinweisen, dass Urlaubsansprüche verfallen, wenn sie nicht bis zum Jahresende genommen werden.
Welche Anforderungen an die Hinweispflichten von Arbeitgebern in diesem Zusammenhang genau zu stellen sind, wird erst die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in den kommenden Jahren zeigen.