Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines nach § 34 Abs. 2 Satz 1 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses kann – vorbehaltlich einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall – vorliegen, wenn damit zu rechnen ist, der Arbeitgeber werde für mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten müssen.“ (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.04.2018, Az.: 2 AZR 6/18)
Ist ein Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum erkrankt, darf der Arbeitgeber grundsätzlich eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht ziehen. Das arbeitsrechtliche Austauschverhältnis zwischen Arbeitsleistung/Entgelt kann durch die mit den Fehlzeiten des Arbeitnehmers einhergehenden Beeinträchtigungen des Arbeitgebers so gestört sein, dass dem Arbeitgeber die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr zuzumuten ist. In der Rechtsprechung wird zwischen häufigen Kurzerkrankungen und langanhaltenden (Dauer-)Erkrankungen unterschieden.
Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung ist zunächst eine sogenannte negative Gesundheitsprognose. Sie ist indiziert, wenn der Arbeitnehmer in den letzten drei Jahren vor Ausspruch der Kündigung pro Jahr mehr als 30 Arbeitstage krankheitsbedingt gefehlt hat. Ferner hat der Arbeitgeber darzulegen, dass seine betrieblichen Interessen in unzumutbarer Weise beeinträchtigt sind. Bei häufigen Kurzerkrankungen können die vom Arbeitgeber zu leistenden Entgeltfortzahlungskosten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen.
Bei Dauererkrankung kommt es darauf an ob und gegebenenfalls wann mit einer Rückkehr des Arbeitnehmers auf seinen Arbeitsplatz zu rechnen ist. Ältere Arbeitnehmer genießen oftmals aufgrund eines Tarifvertrages besonderen Kündigungsschutz, sodass sie vom Arbeitgeber nicht ordentlich gekündigt werden können. Die Rechtsprechung lässt aber auch bei unkündbaren Arbeitnehmern unter besonderen Umständen eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zu.
Sachverhalt:
Der 1966 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 1992 beschäftigt, zuletzt als ungelernter Pflegehelfer im sog. unqualifizierten Patientenbegleitsevice. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt.
Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft vertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Seit 2011 wies der Kläger wiederholt -im Einzelnen streitige- Arbeitsunfähigkeitszeiten auf, die überwiegend auf eine Erkrankung des „psychiatrischen Formenkreises“ zurückgingen. In der Zeit vom 29. September 2011 bis mindestens zum 28. März 2013 fehlte er ununterbrochen. Im Übrigen handelte es sich jeweils um kürzere Zeiträume von zumeist höchstens zehn Arbeitstagen.
Entscheidung:
Bei einer Kündigung, die auf häufige Kurzerkrankungen gestützt wird, sei zur Erstellung der Gesundheitsprognose – vorbehaltlich des Vorliegens besonderer Umstände des Einzelfalls – regelmäßig ein Referenzzeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung bzw. vor Einleitung des Verfahrens zur Beteiligung einer bestehenden Arbeitnehmervertretung zugrunde zu legen.
Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses könne gerechtfertigt sein, wenn aufgrund der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Wann dies der Fall ist, hänge von den Voraussetzungen und der Ausgestaltung des dem Arbeitnehmer eingeräumten tariflichen Sonderkündigungsschutzes ab.
Unter Geltung einer tariflichen Regelung wie derjenigen in § 34 Abs. 1 S. 1 1 TV-L sei eine Äquivalenzstörung, die – vorbehaltlich einer umfassenden Interessenabwägung – einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist bilden kann, anzunehmen, wenn damit zu rechnen ist, der Arbeitgeber werde für mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten müssen.
In dieser Auslegung verstießen § 34 Abs. 2 S. 1 TV-L, § 626 Abs. 1 BGB in Bezug auf Fälle, in denen die häufigen Kurzerkrankungen auf eine Behinderung des Arbeitnehmers zurückzuführen sind, nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG. Mit der Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist im Fall einer gravierenden, den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses betreffenden Äquivalenzstörung verfolgten die Tarifvertragsparteien und der nationale Gesetzgeber in verhältnismäßiger Weise ein rechtmäßiges Ziel im Sinne von Art. EWG RL 2078 Art. 2 Abs. 2 Buchst. b (i) der Richtlinie.
Fazit:
Die Entscheidung gibt eine Orientierung, ab wann nach der Rechtsprechung des BAG eine krankheitsbedingte Kündigung auch bei einem Arbeitnehmer möglich ist, der einem besonderen Kündigungsschutz unterliegt und ordentlich nicht kündbar ist.
Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung mit Auslauffrist ist im Übrigen insbesondere dann möglich, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt dauernd unfähig ist, seine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Hier ist das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis durchgehend umfassend gestört. Weil aufgrund der Erkrankung des Arbeitnehmers auf nicht absehbare Zeit kein Leistungsaustausch mehr erfolgen wird, kann in der Regel ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen angenommen werden.