Arbeitsvertragliche Verfallklauseln, die der Arbeitgeber vorformuliert hat, müssen transparent sein. Das sind sie nicht, wenn sie pauschal alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den gesetzlich garantierten Mindestlohn erfassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Parteien den Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen haben.
Im Arbeitsvertrag vom 01.09.2015 haben die Parteien vereinbart, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht wurden. Im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits schlossen die Parteien einen Vergleich. Er beinhaltete, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Ablauf des 15.08.2016 endet und der Beklagte sich verpflichtet, das Arbeitsverhältnis bis zum 15.09.2016 ordnungsgemäß abzurechnen.
Kläger erstinstanzlich erfolgreich
Am 17.01.2017 klagte der Kläger beim Arbeitsgericht (ArbG) die Urlaubsabgeltung ein, die der Beklagte im Rahmen der Endabrechnung von 06.10.2016 nicht zur Auszahlung brachte.
In diesem Verfahren berief sich der Beklagte darauf, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung verfallen sei, weil der Kläger die dreimonatige Ausschlussfrist nicht eingehalten habe.
Das ArbG sprach dem Kläger die Urlaubsabgeltung zu.
Beklagter in zweiter Instanz erfolgreich
Der Beklagte legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des ArbG auf und wies die Klage ab. Vertragliche und tarifliche Ausschlussfristen, so die Richter des Berufungsgerichts, kommen in der Praxis sehr häufig vor und wirken sich regelmäßig auf alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aus.
Da die Rechtsfrage der Wirksamkeit der vertraglichen Verfallklausel grundsätzliche Bedeutung habe, lies das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zu.
Aller guten Dinge sind drei
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Sie führte zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger hat Anspruch auf die Abgeltung von 19 Urlaubstagen mit 1.687,20 Euro brutto. Eine Geltendmachung des Anspruchs, so das BAG, innerhalb der vertraglichen Ausschlussfrist, sei nicht notwendig gewesen.
Begründet wurde die Entscheidung des BAG im Ergebnis wie folgt:
Die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Sie ist nicht klar und verständlich, weil sie entgegen § 3 Satz 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) den ab dem 1. Januar 2015 zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnimmt. Die Klausel kann deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden (§ 306 BGB). § 3 Satz 1 MiLoG schränkt weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach die Anwendung der §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ein.
Welche Auswirkungen hat die BAG - Entscheidung auf Arbeitsverträge ab 01.01.2015?
Die meisten Arbeits- und auch Tarifverträge enthalten sogenannte Ausschlussfristen, innerhalb derer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend zu machen sind. Versäumen Arbeitnehmer diese Ausschlussfristen, gehen an sich berechtigte Ansprüche ersatzlos unter.
Sinn und Zweck dieser Verfallsklauseln ist es, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien schnell Rechtssicherheit darüber herrscht, welche Ansprüche noch offen sind. Ausschlussfristen sollen vermeiden, dass Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag noch Monate oder gar Jahre nach deren Fälligkeit geltend gemacht werden können. Denn die regelmäßige gesetzliche Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.
Nach der Entscheidung Bundesarbeitsgerichts vom 18.09.2018 sollen Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen insgesamt unwirksam sein, wenn die Fristen nicht auch konkret die Bestimmungen zum Mindestlohn ausnehmen. Denn, so die Richter des Neunten BAG Senats:
Fehlt der Mindestlohnausschluss, ist die gesamte Verfallsklausel nicht klar und verständlich und damit unwirksam.
Im Ergebnis bedeutet die BAG - Entscheidung, dass bei Arbeitsverhältnissen, die in den letzten drei Jahren geendet haben, für Arbeitnehmer die Möglichkeit besteht, etwaig noch offene Forderungen gegenüber ihren früheren Arbeitgebern zu verfolgen.
Aber auch Ansprüche aus bestehenden Arbeitsverhältnissen, die bisher unter Hinweis auf eine verspätete Geltendmachung nicht weiter verfolgt wurden, dürften nach der höchstrichterlichen Auffassung durchsetzbar sein, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 abgeschlossen wurde.